Thomas Jenewein, SAP Education: "Reines E⁠-⁠Learning ist nicht das einzig Wahre"

Thomas Jenewein, SAP
16.07.2015
Carmen Dango
Businesskompetenz

Er ist ein gefragter Experte für die Schnittstelle zwischen Human Ressources, Personalentwicklung, E⁠-⁠Learning und Lerntechnologien: Der Organisations- und Wirtschaftspsychologe Thomas Jenewein.

Nachdem er zunächst an der SAP-University an verschiedenen Personalentwicklungs-Projekten gearbeitet hatte und danach Leiter des SAP-internen Learning Consultings war, wo er strategische Weiterbildungsprogramme und die Anwendung neuer Lernansätze und Medien verantwortete, war er auch als Produktmanager für Lernsoftware tätig und ist heute Business Development Manager für SAP Education.

Ein Gespräch über Lernräume, Performance Support und über die Zukunft des Lernens.

1. Herr Jenewein, Sie gehören zu den Vorreitern in Sachen E⁠-⁠Learning und befeuern die Branche nicht nur mit guten Ideen, sondern vor allem auch mit deren Umsetzung. Jetzt haben Sie mit den „SAP Lernräumen“ wieder ein neues Kapitel aufgeschlagen. Können Sie kurz die Zielsetzung der Lernräume umreißen?

Die Lernräume sind Teil des SAP Learning Hub – das ist ein neuer Zugang für SAP-Kunden und -Partner zu allen SAP-Wissens- und Lerninhalten wie beispielsweise Handbüchern oder E⁠-⁠Learning. Der Zugang ist abonnierbar in einem Flatrate-ähnlichem Ansatz für 12 Monate. Neben dem Zugang zu Selbstlernmaterial gibt es die Möglichkeit, Schulungssysteme zum Üben zu abonnieren, um Gelerntes anhand vorbereiteter Aufgaben selbst praktisch zu erfahren.

In Lern-Communities – also den sogenannten Lernräumen – können Lerner mit Trainern und anderen Lernern lernen, üben und diskutieren. Die Lernräume werden immer von Trainern moderiert und Lerner können dort Fragen zum Selbstlernmaterial, zur Zertifizierung oder zum Lernpfad stellen. Daneben tragen die Trainer viele Inhalte bei, beispielsweise Videos, Kurzumfragen oder Blogs mit Inhalten, die sie normal im Training nutzen. Natürlich können sich die Lerner auch untereinander vernetzen und eigene Inhalte einbringen, was wir mit Maßnahmen wie kurzen Umfragen, virtuellen Infosessions oder kleinen Wettbewerben versuchen zu fördern.

Ein Blick in den SAP-"Lernraum": Hier die Einführung mit Einführungsvideos sowie vom Trainer ausgewähltem Lernmaterial

2. Mit den Lernräumen unternehmen Sie auch den Versuch, das informelle Lernen als Ressource zu nutzen. Geht das überhaupt, das informelle Lernen zu formalisieren?

Natürlich kann man informelles Lernen nicht anordnen. Jedoch kann man informellem Lernen einen Rahmen geben und es mit Methoden und Tools unterstützen – indem man z.B. die Vernetzung, den Austausch, die Praxis und die Reflexion fördert – sowie das informelle mit formellem Lernen verknüpfen.

3. Funktionieren die Lernräume auch ohne Education Trainer und Moderatoren?

Sicher nicht. Wenn, dann passiert höchstens durch den absoluten Zufall, dass sich sehr motivierte Lerner um Moderatoren-Tätigkeiten kümmern. Also dass sie beispielsweise Inhalte strukturieren, Konflikte moderieren, dafür sorgen, dass Fragen beantwortet werden oder selbst Inhalte einbringen. Ohne Moderator verkümmern die meisten Communities jedoch – was auch an ihrer Typologie liegt. Ein Großteil, die sogenannten „Lurker“, konsumiert eher passiv, oder nur wenig aktiv als User, die liken oder kommentieren. Nur wenige bringen aktiv selbst Inhalte ein. Daneben sind Moderatoren auch für Qualitätssicherung verantwortlich.

In der Timeline der Lernräume werden beispielsweise Umfragen, Aufgaben oder Kommentare angezeigt

4. Viel diskutiert wird derzeit das Thema Performance Support. Maxime ist, dass die Mitarbeiter selbst am besten wissen, was sie lernen müssen. Welche Erfahrungen haben Sie mit dem selbstorganisierten Lernen gemacht? Spiegelt das die betriebliche Realität wieder – auch wenn es um „Muss-Themen“ geht?

Meiner Meinung nach ist Performance Support vor allem das bedarfsgerechte Lernen bei der Arbeit – wobei das nicht mehr als „Lernen“ empfunden wird. Das Thema besteht ja schon länger – hat aber immer noch Akzeptanz-Probleme, sich bei Schulungsverantwortlichen und auch sonst durchzusetzen. Es ist also leider noch nicht wirklich Realität. Das liegt neben dem neuen Ansatz, der weg von der klassischen Instruktion geht, in der viele Schulungsexperten sozialisiert wurden, sicher auch an den Aufwänden der Einführung.

Bei Muss-Themen bin ich mir unsicher ... Auf der einen Seite muss man eben gesetzlich relevante Inhalte wissen, bzw. Firmen müssen sich absichern – wie beim „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz“ für Manager beispielsweise. Trotzdem wissen wir ja aus der Lernforschung, dass alles das, was nicht angewendet wird, auch sehr schnell wieder vergessen ist – und daher sollte man auch da mehr auf Bedarfsorientierung achten. Wir werden aus Compliance-Gründen sicher in Zukunft noch mehr Muss-Schulungen sehen – wobei ich hoffe, dass das weg von „Blätter-Maschinen“ geht und auch effektiver methodisch aufbereitet wird.

5. Ist beim Projekt „Lernräume“ die Erfolgsmessung wichtig? Und falls ja – wie kann Erfolg gemessen werden?

Ja, die Erfolgsmessung ist wichtig – sie ist eine der Entscheidungskriterien, überhaupt einen Lernraum anzulegen. Im Business Case wird ein Zielwert für das sogenannte Engagement gegeben. Dieser Index misst, wie viele der Teilnehmer eines Lernraums auch selbst aktiv sind, also wie viele Ansichten sowie Aktivitäten es gibt in Abhängigkeit aller Teilnehmer. Gerade zu Beginn haben wir auch qualitative Online-Befragungen und Interviews mit Teilnehmern und Moderatoren gemacht, um die Lernräume noch weiter zu optimieren.

Auch als Coach und Vortragsredner ist Thomas Jenewein gefragt [(c) privat]

6. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Entwicklungen im Bereich des E⁠-⁠Learning während der letzten fünf Jahre?

Die stärkere Etablierung des Blended Learning – also dass ein Einsatz eines Methodenmixes je nach Thema, Zielgruppe oder Lernziel Sinn macht, anstatt einer Betonung von reinem E⁠-⁠Learning als das einzig Wahre. Auch freut mich, dass sich das 70-20-10-Rahmenwerk des Lernens inzwischen durchgesetzt hat und in vielen Firmen als Leitbild in der Weiterbildung dient. Sonst die üblichen Verdächtigen wie videobasiertes Lernen, Performance Support, MOOCs & OER, stärkeres Fördern von bedarfsgerechtem Lernen bei der Arbeit oder dem informellen und vernetzten Lernen.

Natürlich hängt es immer auch von der Firma und Lernkultur ab, inwieweit neuere Methoden aufgegriffen werden – manche Firmen, immer noch beim „Volkshochschul-Ansatz“ sind, können dafür eventuell ganze Entwicklungen überspringen ...

7. Welche Entwicklungen wünschen Sie sich innerhalb der nächsten fünf Jahre?

Spannend finde ich das Thema Gamification. Die Zielsetzung ist hier weiterführender als früher bei den Serious Games. Es geht darum, Lerner zu motivieren und stärker zu beteiligen, und dies mit Anleihen aus Spiele-Prinzipien wie Badges, Punkten, Missions, Fortschritt, Feedback etc.

Auch etablieren sich agile Methoden wie SCRUM und Design Thinking – hoffentlich ein Thema, was wir auch noch weiterhin sehen werden. Neuer sind Themen wie Learning Analytics und die Beschäftigung mit Big Data. Hier kann man noch einfacher die Lern-Ergebnisse messen und damit steuern – anstatt nur auf Inputs zu schauen wie Anzahl von Schulungen, Buchungen etc.

Unter dem Dach der weiteren Digitalisierung aller Branchen sind Themen wie Robotik, selbstlernende Systeme und das Internet der Dinge noch in weiterer Ferne und es ist noch unklar, wie diese sinnvoll im E⁠-⁠Learning eingesetzt werden können. Sicher werden aber auch diese Themen einen Einfluss halten – die Nutzung von Wearables ist ein Beispiel.

Zur Vertiefung:

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