
Online Kompetenzentwicklung am Bsp. Schwimmen
Wissensvermittlung und Wissensaufbau sind ohne Onlinemedien nicht mehr denkbar. Aber wie sieht es beim Thema Kompetenzentwicklung aus? Lassen sich Kompetenzen mit Hilfe von Onlinemedien entwickeln? Ich wollte das herausfinden und bin sprichwörtlich ins kalte Wasser gesprungen. Ins kalte Wasser des Ammersees. Hintergrund: ich bin zwar ein veritabler Brustschwimmer, konnte aber maximal drei bis vier Züge „kraulen“. Und genau das wollte ich lernen. Ohne Schwimmlehrer, ausschließlich mit Online-Medien und Schulungsvideos. Auf dem #CLC17 habe ich dazu eine Session angeboten und einen kurzen Erfahrungsbericht beigesteuert. Weil sich aus dem Selbstversuch einige Parallelen und Rückschlüsse für das Corporate Learning ziehen lassen, fasse ich hier die Ergebnisse noch einmal zusammen – und liefere zum Nachweis der erfolgten Kompetenzentwicklung ein Beweisvideo am Ende dieses Artikels.
Kompetenzentwicklung durch Video-gucken?
Ich unterstelle vorab, dass es sich beim „Kraulen können“ nicht nur um eine Fähigkeit, sondern auch um eine Kompetenz handelt, dass also Wissen und Handlungsfähigkeit zusammen kommen. Die Kompetenzentwicklung zielte also darauf ab, mich in die Lage zu versetzen, in offenen Situationen (in offenen Gewässern) nicht unterzugehen, sondern mich rückenschonend und nachhaltig fortbewegen zu können. Mit der Idee der Online Kompetenzentwicklung, stehe ich übrigens in guter Gesellschaft. Der Kenianer Julius Yego, Weltmeister im Speerwurf, hat als seinen wichtigsten Coach sich selbst und Youtube Videos benannt. Können wir also die betriebliche Weiterbildung und gar auch die Kompetenzentwicklung an Youtube auslagern? Brauchen wir dann überhaupt noch so etwas wie eine Personalentwicklung oder HR? Genügt es nicht, den Mitarbeitern ein Smartphone zur Verfügung zu stellen und hinter das Thema Kompetenzentwicklung einen Haken zu machen? Bevor Controller und Betriebswirte sich freuen und mit dem Rotstift durch die Personalabteilung laufen, sei’s gesagt – ganz so einfach ist es nicht. Denn auch vor die Online-Kompetenzentwicklung haben die Götter den Schweiß gesetzt. Was in meinem Fall lernerleichternd dazu kommt, ist der selbst diagnostizierte Lernbedarf. Und das ist schon der erste wichtige Schritt für die selbstorganisierte online Kompetenzentwicklung.
Selbstorganisierte Online Kompetenzentwicklung setzt Motivation voraus
Was für das Lernen allgemein gilt, gilt für die selbstgesteuerte Online-Kompetenzentwicklung ganz besonders. Der einzige wirkliche Lernmotivator ist der Lernbedarf. Das gilt für das Lernen wie für die selbstgesteuerte Kompetenzentwicklung. Wer den Bedarf bei sich selbst nicht diagnostiziert, wird sich nicht auf den Weg machen. Heiß diskutiert auf dem Corporate Learning Barcamp war deshalb nicht zu Unrecht auch die Frage, „wie bringt man die Leute dazu, zu lernen“. Die Antwort auf diese Frage ist dreiteilig:
- Der Lernbedarf muss erkannt oder geweckt werden – nicht immer können sich Unternehmen auf die selbstorganisierte Kompetenzentwicklung verlassen. Denn der erste Schritt der Kompetenzentwicklung ist der, der aus der unbewussten Inkompetenz zur bewussten Inkompetenz führt. Hut ab vor allen, die diesen Schritt alleine schaffen, denn dazu gehört ein ordentliches Maß gesunder Selbsterkenntnis und sehr, sehr gutes Feedback.
- Das Unternehmen braucht eine „Lernkultur“. Die muss top-down genauso wie bottom-up funktionieren. Sie muss gleichzeitig Lernen positiv sanktionieren und auch ganz banal „Lernräume“ zur Verfügung stellen. In meinem Fall lag der Ammersee mehr oder minder vor der Tür, ich hatte also meinen „Lernraum“, ohne den das ganze Unterfangen „online Kompetenzentwicklung“ überhaupt nicht hätte stattfinden können.
- Diagnostik muss Kompetenzdefizite erkennen. Darauf aufbauend müssen gemeinsam mit den Mitarbeitern „Programme“ vereinbart werden. Dazu gehört selbstverständlich die Kontrolle der Vereinbarungen und entsprechendes Performance Management (das sich nicht darin erschöpfen darf, Schulnoten und Boni zu verteilen).
In meinem Fall war der Benefit rückengerechtes Schwimmen – und die Verifizierung beziehungsweise Falsifizierung von Annahmen, die den Produkten der Pink University zugrunde liegen. Schritt eins auf dem Weg zur Online-Kompetenzentwicklung „Motivation sicherstellen“ war erledigt.
Guckst du schon oder suchst du noch – Online Kompetenzentwicklung heißt zuerst „Suchen“
In meinem Fall startete der zweite Teil der Online Kompetenzentwicklung mit der Erkenntnis, dass es zum Thema „Kraulen“ „ungefähr 528.000 Ergebnisse“ gibt und Google genau 0,34 Sekunden brauchte, um mir diese Ergebnisse zu liefern. Von „Saubere Technik für Einsteiger und Athleten“ über „Die drei größten Kraul-Technik-Fehler“ bis zu „Eier kraulen und bei Edeka einkaufen“ mit Lukas Podolski. Grenzt man die Suche ein auf „Videos“ liefert Google innerhalb von 0,28 Sekunden immerhin noch 115.000 Ergebnisse. Auch wenn man anrechnet, dass ein Großteil der Treffer augenscheinlich irrelevant ist, so bleiben doch mindestens 100 Treffer, die, zumindest dem ersten Anschein nach, passen. Das erfordert viel Zeit. Und es braucht natürlich ein großes Maß an Selbstbeherrschung, nicht auf den Link zu klicken, der Näheres von Lukas Podolski zum Thema Kraulen verspricht. Wer hochkonzentriert zu Werke geht, kann möglicherweise nach den ersten Recherchestunden schon konkreter in das Thema einsteigen. Bei mir dauerte es drei bis vier Abende bis ich abseits des zuerst gewählten Suchwortes „Kraulen“ auf das weit fruchtbarere Suchwort „Freistil“ und darüber auf Freestyle gestoßen bin. Inzwischen war ich schon ein ganz passabler Experte im schnellen Erkennen und Bewerten videobasierter Suchtreffer zu meinem gesuchten Thema. Besonders interessant und vielversprechend erschien mir dann eine ganz außergewöhnliche Technik, das „Total Immersion Freestyle Swimming“. Nach einigem Abwägen und einigen Querrecherchen stufte ich die Technik als sinnvoll, lernbar und zielführend ein. Ich hatte das Lehrmittel meiner Wahl gefunden.
Diese Vorgehensweise ist in betrieblichen Kontexten natürlich nur dann zu empfehlen, wenn das Suchen und Finden Teil der Arbeit oder Teil des Kompetenzentwicklungsprozesses sein soll. Ansonsten ist nicht vertretbar, Mitarbeiter stundenlang ins Netz zu schicken, um nach Lösungen zu suchen. Auch auf die Schwarmintelligenz, die möglicherweise durch Empfehlungen und Likes den Weg weisen könnte, sollten sich Unternehmen nicht verlassen – es könnte sich, mit Günther Dueck zu sprechen, auch um Schwarmdummheit handeln. Vielmehr taucht in diesem Kontext eine neue Aufgabe für die Personalentwicklung auf. Christoph Meier vom SCIL nennt das Auswählen und Kuratieren von Inhalten als eine der wichtigen (künftigen) Aufgaben der Personalentwicklung. Das heißt, Personalentwickler der Zukunft werden auch eine Art Scout sein mit der Kompetenz, für die Mitarbeiter gute Lernressourcen zu finden und zur Verfügung zu stellen. Wie Pilzsammler wissen sie, wo was wächst und was genießbar ist.
Der Coach für meine Kompetenzentwicklung heißt YouTube
Julius Yego hatte also Recht, ich konnte auf YouTube meinen Coach finden. Um ehrlich zu sein, war aber nicht YouTube der Coach, sondern der Schwimmer Terry Laughlin. Bis auf ein paar Sideklicks war dieses knapp vierminütige Video das einzige Lern- und Lehrmittel, das ich für den Weg zum Ziel genutzt habe:
Was fällt daran auf? Das Video ist hochprofessionell produziert. Vermutlich hatten die Produzenten neben dem Becken Schienen aufgebaut oder hatten zumindest einen „Skateboard-Dolly“, also einen kleinen Kamerawagen im Einsatz. Ganz wesentlich und für den Lerneffekt unverzichtbar war die Unterwasserkamera, auch hier mit einwandfreier Führung. Es ist also beileibe kein „Youtubefilmchen“ sondern ein sehr aufwändig hergestellter Film. Der Grund, warum dieser Film kostenlos auf Youtube zu haben ist, ist schnell geklärt. Die Autoren bieten Online Kurse für das „Immersion Swimming“. Es handelt sich hier also „nur“ um einen Teaser – um einen Teaser allerdings, der für mich völlig ausreichend war.
Die Analogie zum Corporate Learning, die sich hier ziehen lässt: Es gibt auch auf YouTube hochwertigen Content – er muss allerdings erst gefunden werden. Meist sind es Häppchen oder Auszüge aus Lernprogrammen. Wo sie für sich stehen, gut. Wo nicht, verweisen sie immerhin auf „mehr“. Vorsicht ist allerdings geboten, wenn es darum geht, Youtubefilme einzubetten. Der Embed-Link ist für Google eine komfortable Tür in Ihr System. Das wird zumindest der IT nicht schmecken. Und es gilt natürlich auch, die Copyrights zu beachten. Ein Wort noch zur Qualität: Keinesfalls ist YouTube ein Freibrief für Low-Budget. Im Gegenteil. Das eingebettete Schwimmvideo zeigt, dass sich die Qualität am Nutzen orientieren muss. Es geht nicht um Hochglanz versus selbstgedreht, sondern um „Nachhaltigkeit“ beziehungsweise um die Ermöglichung des Lernens durch Zeigen bzw. durch Anschauung. Diese Qualität muss so gut wie irgend möglich sein. Schließlich gilt auch: je besser Lernressourcen aufbereitet sind, desto weniger Zeit brauchen die Lerner, sie zu verstehen und umzusetzen. Deshalb ist im Prinzip auch Unsinn, E-Learning Agenturen nach „Lernzeit“ zu bezahlen oder nach Laufzeit der Lehrmittel (hier muss Goethe her: er soll gesagt haben: „Ich schreibe dir einen langen Brief, weil ich für einen kurzen keine Zeit habe“).
Übung macht den Schwimmer, die Führungskraft und alle anderen auch
Es klingt banal, muss aber trotzdem gesagt werden. Ich habe das „Kraulen“ nicht gelernt, indem ich mir einmal dieses Video angeschaut habe. Ich habe es zig mal angeschaut. Dann bin ich in den See. Und wäre fast ersoffen. Also wieder raus aus dem See und vor den Rechner. Was habe ich wohl falsch gemacht? Wie sieht das bei dem nochmal aus? Und wieder ins Wasser. Heute nennt man das wohl iterativ: Wasser schlucken, üben, Wasser schlucken, üben, Wasser schlucken, bisschen schwimmen, weniger Wasser schlucken, mehr schwimmen und so weiter. Nach einer Saison war ich viel weiter. Jetzt, nach dem zweiten Sommer mit „Immersion Swimming“ kann ich problemlos eine Stunde „kraulen“. Die Online Kompetenzentwicklung ist also geglückt. Aber damit die Kompetenz eine Kompetenz bleibt, gibt’s nur eins: schwimmen, schwimmen, schwimmen. Und das sieht bei mir jetzt so aus:
Kenner erkennen schnell: das ist nicht der Ammersee. Richtig! Das Video entstand nach der ersten „Lern-Saison“ auf der kroatischen Insel Mljet. Das Salzwasser hat meine Bemühungen vortrefflich unterstützt.
Meine Lessons Learned aus dem Selbstversuch Online Kompetenzentwicklung
Die fünf Stufen der Kompetenzentwicklung
- Bedarf erkennen
- Lernumgebung herstellen
- Lernressourcen finden
- Lernstoff aneignen
- || Lernstoff einüben :||
Wolfgang Hanfstein, 04.10.2017
[…] eine untergeordnete Rolle. Menschen können selbst mittels YouTube schwimmen lernen, wie der der Bericht über einen Selbstversuch zeigt. Voraussetzung dafür: Begeisterung, Hingabe und echtes […]
.. gute Gelegenheit, für die #CLC17 Insights auf http://www.personaleum.at/corporate-learning-camp-clc17/ zu danken! Sind zwar nur Ausschnitte, geben aber ein gutes Bild ab über die vielen Themen und spannenden Diskussionen auf dem CLC17!