Was bedeutet Lerntransfer in der Personalentwicklung? - Ins Tun kommen

betriebliche Weiterbildung auch durch Praxis
28.04.2021
Kerstin Boll
Innovative Personalentwicklung
Inhalt

Jedes Jahr fließen Millionen Euro in die betriebliche Weiterbildung - doch oftmals fehlt der Lerntransfer in die Praxis. Ziel der Weiterbildung ist der Aufbau von Kompetenzen und neuem Verhalten sowie die Anwendung in der Praxis. Schätzungen gehen allerdings davon aus, dass dies nur zu 10 bis 22 Prozent gelingt (Gesehen bei: "We Need To Talk About Learning Transfer", eLearning Industry).

Die Gründe sind vielfältig: Wenn die Mitarbeitenden aus einer Veranstaltung zurückkommen oder ein E⁠-⁠Training abgeschlossen haben, türmt sich auf ihrem Schreibtisch die Arbeit: Das Postfach ist voll von unbeantworteten E⁠-⁠Mails, Teamkollegen und Vorgesetzte haben Fragen und vieles andere, was liegengeblieben ist, will aufgeholt werden. Das Neu-Erlernte verschwindet aus dem Fokus zu einem Zeitpunkt, da es sich noch längst nicht gefestigt hat. Die Mitarbeitenden fallen in ihre gewohnten Muster zurück.

Nicht nur die Lerninhalte, auch das Lernen-Lernen kommt zu kurz

Die Folgen sind erheblich und kaum zu unterschätzen: Wenn es stimmt, dass die Kompetenzen der Mitarbeitenden das wichtigste Asset eines Unternehmens sind, dann untergräbt dieser Umstand die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens.

Auch die Motivation der Mitarbeitenden schwindet: Sinnlose Weiterbildung macht die Mitarbeitenden zynisch. Das ist nachgewiesen.

Und noch etwas: Es gehen nicht nur die Inhalte verloren, die in der Veranstaltung vermittelt wurden. Auch die Meta-Kompetenzen "Lernen" und "Transfer" bleiben auf der Strecke.

In unserer Gegenwart hat es keinen Sinn, jede vorstellbare Aufgabe und jeden einzelnen Gedanken zu trainieren. Unsere Welt ist dynamisch und verändert sich ständig. Die Mitarbeitenden müssen Fähigkeiten entwickeln, damit sie sich auf neue und unbekannte Situationen einstellen können - also eine Transferleistung erbringen. Dazu müssen sie in der Lage sein, exemplarisch Gelerntes in die eigene Welt zu übertragen. Sie brauchen Kompetenzen hinsichtlich Anwenden, Generalisierens, Übertragen und Weiterdenken.

Der Begriff des "Lerntransfers" kennt viele Lesarten, eine hebt auf diese Kompetenz des Weiterdenkens und Übertragens ab (siehe: "Lerntransfer", Werner Stangls Arbeitsblätter)

Was ist Lerntransfer?

Laut Gabler Wirtschaftslexikon ist Lerntransfer

"die Fähigkeit, eine gelernte Aufgabe auf eine andere, vergleichbare Situation zu übertragen. Übertragung und Anwendung des in einer Aus-, Fort- oder Weiterbildung (Training) erworbenen Wissens auf die berufliche Situation. Der Lerntransfer sollte bereits in der Lernsituation gefördert werden, z.B. indem Übungen im Training viele Elemente der Arbeitssituation enthalten, ausdrücklich auf die Anwendungsmöglichkeiten des Gelernten in der Praxis hingewiesen wird, die positiven Auswirkungen der Anwendung des Gelernten aufgezeigt werden."

Was trägt zu einem erfolgreichen Lerntransfer bei?

3 Aspekte, die immer wieder in Zusammenhang mit einem gelingenden Lerntransfer genannt werden, sind diese:

Das Trainingsdesign nimmt dabei in den Diskussionen einen hohen Stellenwert ein. Was vor und nach einer Veranstaltung passiert, gerät in den Hintergrund. Dabei betonen viele Experten das Potenzial, das in der Vor- und Nachbereitung liegt.

Eine Umfrage unter Weiterbildungsverantwortlichen legt die Versäumnisse und Chancen offen. Aus deren Sicht liegen hier die größten Hürden (Anteil der Unternehmen, gesehen bei Reflect, "Trainingsmaßnahmen für einen positiven Lerntransfer"):

  • 61 Prozent: Keine Nachbereitung der Veranstaltungen.

  • 57 Prozent: Fehlende Zeit, Inhalte umzusetzen.

  • 35 Prozent: Mangelnde Kommunikationsmöglichkeiten der Weiterbildungsinhalte nach einer Veranstaltung.

  • 30 Prozent: Vorgesetzte verhindern Umsetzung aus Angst vor Kompetenzverlust.

  • 25 Prozent: Zu hohe Erwartungshaltung.

  • 24 Prozent: Mangelnde Vorbereitung.

  • 19 Prozent: Schwellenangst der Teilnehmer, Neues zu lernen und umzusetzen.

  • 14 Prozent: Zu geringe Motivation der Teilnehmer.

  • 13 Prozent: Mangelnde Relevanz der Inhalte für die tägliche Arbeit.

  • 10 Prozent: Seminare gelten gemeinhin als Kurzurlaub.

  • 8 Prozent: Inhalte werden von Teilnehmern nicht ernst genommen.

  • 5 Prozent: Seminare sind zu anspruchsvoll.

Ein unzureichendes Trainingsdesign ist offenbar das kleinste Problem. Auch die fehlende Motivation der Teilnehmenden spielt eine untergeordnete Rolle. Überragend ist hingegen die fehlende Möglichkeit, das Gelernte nachzubereiten, umzusetzen und zu diskutieren. Hier lassen sich Schätze heben.

Den Lerntransfer steigern: Tipps für die Praxis

Welche Maßnahmen sichern den Lerntransfer? Hier eine Liste mit Anregungen als Begleitung zu einer Präsenzveranstaltung:

Vor dem Training

  • Frühzeitige Kommunikation über die Inhalte. Wenn möglich Teilnehmende in die Planung einbeziehen. Dies weckt Interesse und baut falsche Erwartungen ab.

  • Kleine Lernnuggets aus der Veranstaltung herauslösen und schon vorher zur Verfügung stellen. So steigt die Neugier und die Inhalte festigen sich durch Wiederholung.

  • Den oder die Vorgesetzte in die Vorbereitung und Kommunikation einbinden. Für den Erfolg ist es wichtig, dass die Führung das Training mitträgt und allen Lernenden den Sinn und Zweck nahebringt.

Während des Trainings

  • Bedeutsame Inhalte: Die Inhalte müssen für den Alltag der Lernenden wichtig sein. Sie müssen außerdem mit den Unternehmenszielen übereinstimmen.

  • Veränderung betonen: Herausheben, was die Lernenden im Alltag anders machen sollen als bisher und wie dies gelingt. Dazu praxisbezogene Übungs- und Transferaufgaben sowie Übungszeit einplanen.

  • Diskussion anbieten und abfragen: Was bedeutet das Gelernte für die Teilnehmenden?

Nach dem Training

  • Informationen zur Vertiefung versenden. Dazu zählen Erinnerungen, Zusammenfassungen, Arbeitshilfen sowie Impulse zum Nachdenken. Solche Transferprogramme dauern oft drei bis vier Monate und enden mit einer Schlussveranstaltung.

  • Lernbegleitung durch die Führungskraft: Ihre Aufgabe ist, den Lerntransfer zu begleiten und für die Veränderung zu ermutigen.

Wirksam erweisen sich außerdem diese Formate:

  • Social Learning und Peer-to-Peer Learning

  • Kollegialer Austausch / Erfahrungsaustausch

  • Umsetzungsanreize durch Präsentationen über das Gelernte und die Veränderungen im Team oder vor Vorgesetzten.

  • Berichte oder Posts von den Lernenden in den Social Media. Sie erfordern eine Auseinandersetzung mit dem Gelernten und bedeuten eine erste Vertiefung.

  • Transfergespräche mit Vorgesetzten, Personalleuten, Trainer:innen und Coaches.

Wissen lässt sich nicht verpflanzen. Jede:r Lernende muss sein Wissen selbst aufbauen. So funktioniert der Mensch nun einmal und die Einsicht kann die Beteiligten entlasten. Zum Lernen gehört Zeit. Wiederholungen helfen beim Vertiefen und Verinnerlichen. Dazu bieten sich ganz besonders Blended Learning-Konzepte an, also Präsenz-Veranstaltungen ergänzt um digitale Angebote vorher und nachher.

Lerntransfer durch Transferaufgaben sichern - Beispiele

Beispiel #1: Kommunikationsplan für ein Change-Projekt

Diese Aufgabe fordert die Teilnehmenden auf, einen Kommunikationsplan für ein Änderungsprojekt zu erstellen. Sie können die Vorlage als Leitfaden verwenden.

Transferaufgabe aus dem E⁠-⁠Learning "Change Management - Veränderungsprozesse erfolgreich gestalten"

Beispiel #2: Vorbereitung auf ein Trennungsgespräch

Diese Transferaufgabe leitet die Teilnehmenden an, ihre spontanen Gefühle aufzuschreiben, wenn sie an das bevorstehende Trennungsgespräch denken. Die Teilnehmenden können dann kurz vor dem Gespräch noch einmal auf ihre Liste schauen und sich ihre wichtigsten Vorsätze vor Augen führen.

Transferaufgabe aus dem E⁠-⁠Learning "Trennungsgespräche führen"

Beispiel #3: Konflikte mit lateraler Führung

Bei dieser Transferaufgabe reflektieren die Teilnehmenden über einen konkreten aktuellen oder vergangenen Konflikt. Aus ihrem Verhalten in diesem Konflikt können sie ableiten, was sie in Zukunft beibehalten oder verändern möchten.

Transferaufgabe aus dem E⁠-⁠Learning "Laterale Führung - wirksam führen ohne Vorgesetztenfunktion"

Tipps für effektives Lernen

Praxisnahe Tipps für effektives Lernen, die Ihnen und Ihren Mitarbeitenden helfen, so viel wie möglich aus einem Training mitzunehmen, finden Sie in unserem Leitfaden "7 Tipps für effektives Lernen".

Quellen:

Wirtschaftslexikon Gabler, "Lerntransfer"
Reflect, "Trainingsmaßnahmen für einen positiven Lerntransfer"
eLearning Industry, "We need to talk about learning transfer"
Werner Stangl, "Lerntransfer"

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