Lernen statt Lehren: Wie neue Medien durch ihre „On-Demand“-Verfügbarkeit die betriebliche Weiterbildung effizienter machen

Die Wichtigkeit klassischer Lehrmethoden
30.10.2014
Wolfgang Hanfstein
Digitale Trends
Inhalt

Klassische Lehrmethoden sind gekennzeichnet durch die Dichotomie Lehrer/Lernender, der Interaktion dieser beiden beteiligten Gruppen und der Steuerung des Lernprozesses durch den Lehrenden. Auch die meisten web-basierten Lehrmethoden könnte man in diese Kategorie einordnen. Allerdings stehen diese Trainings den Mitarbeitern „On-Demand“ zur Verfügung und öffnen so den Weg zu selbstgesteuertem Lernen – sofern die Trainings an den Erfahrungshintergrund der Mitarbeiter anknüpfen.

Hinweis: Dieser Fachbeitrag erschien bereits in gedruckter Form in Dreyer, A. (2014): Jahrbuch Bildungs- und Talentmanagement 2014, Deutscher Bildungspreis, TÜV SÜD Akademie Gmbh und EuPD Research Sustainable Management GmbH (Hrsg.). München und Bonn: Eigenverlag. und wird hier im Blog mit freundlicher Erlaubnis der Jahrbuch-Herausgeber veröffentlicht.

1. Was sind klassische Lehrmethoden?

Die Verfechter klassischer Lehrmethoden stehen immer mehr unter Rechtfertigungszwang. Dabei ist noch nicht einmal ausgemacht, was „klassische“ Lehrmethoden eigentlich sind. Ist zum Beispiel ein Präsenztraining, in dem der Trainer die Teilnehmer auf den Kilimandscharo führt, klassisch? Tauglicher erscheint eine Unterscheidung aufgrund der Lernhierarchie. Hier der Experte, der Wissen an Nicht-Wissende weitergibt, dort Peer-to-Peer-Gruppen, die sich Wissen gemeinsam erarbeiten. Legt man die Unterscheidung „expertengesteuert“ versus „lernergesteuert“ an, zeigt sich schnell, dass auch nahezu alle Online-Trainings in diesen „klassischen“ Bereich fallen. Ein Web Based Training (WBT) ist ebenso expertenbasiert wie ein Präsenztraining, ein Videotraining genauso wie ein Webinar. Und auch der Großteil aller Blended-Learning-Maßnahmen gehört zum klassischen Repertoire – und damit zu dem Bereich, der im derzeit vieldiskutierten 70-20-10-Modell die bescheidenste Rolle spielt. Grund genug, dieses Modell kurz unter die Lupe zu nehmen.

2. 70-20-10 und warum wir doch noch klassische Lehrmethoden brauchen

Seit der Veröffentlichung des Buches „The Career Architect Development Planner“ von Michael M. Lombardo und Robert W. Eichinger im Jahr 1996 hat sich die Formel 70-20-10 unaufhaltsam verbreitet. Dabei geriet die auslösende Studie immer mehr in den Hintergrund. Nach dem Prinzip der „stillen Post“ haben sich die Zahlen zu einem Dogma entwickelt, das zudem noch sehr unterschiedlich interpretiert wird. Am nächsten dran am Original ist die Behauptung, dass Lernen zu 70 Prozent „on the job“ stattfindet, zu 20 Prozent aus der sozialen Umgebung resultiert (Feedback durch Vorgesetzte, Mitarbeiter und Kollegen) und dass für 10 Prozent der Lernergebnisse klassische Lehrformen zuständig seien. Wesentlich ungünstiger für klassische Lernformen fällt eine andere Interpretation aus, wonach nur 70 Prozent des „on the job“ Gelernten hängen bleiben, nur 20 Prozent des „sozial“ Gelernten und nur 10 Prozent des klassisch Gelernten. Ein großer Unterschied. Denn letztere Interpretation würde bedeuten, dass 90 Prozent der klassischen Lehr- und Lernformate für die Katz sind – und damit der Löwenanteil der derzeitigen betrieblichen Weiterbildung.
Das sind Erkenntnisse, die zumindest durch die Studie von Eichinger und Lombardo nicht gedeckt sind. Zum einen war die Studie nicht repräsentativ angelegt und fokussierte zudem lediglich High-Performer. Zum anderen bilden die Zahlen keine mathematischen Ergebnisse ab, sondern sind, wie mit Charles Jennings einer der bekanntesten Verfechter des 70-20-10-Modells betont, reine Artefakte (Singh 2014). Die Bedeutung der Studie liegt denn auch darin, dass sie das Augenmerk auf das nicht-klassische, nicht-lineare Lernen gerichtet hat. In den Blick rückte jetzt das lebenslange Lernen, das „Learning on the job“ und die Notwendigkeit, Umgebungen zu schaffen, die zur permanenten und selbstgesteuerten Weiterbildung animieren. Lernen wird nicht mehr als einmaliges Ereignis verstanden, sondern als Prozess. Damit einher ging auch die Verschiebung der Perspektive. Nicht mehr der Lehrende steht jetzt im Mittelpunkt, sondern der Lernende (Waldherr, Walter 2014:108 ff).

3. „Überall-Verfügbarkeit“ macht den Unterschied

Es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen heute und der Zeit der Entstehung der Studie, mit der Lombardo und Eichinger das 70-20-10 Modell populär gemacht haben. Und dieser Unterschied heißt Ubiquität, also „Überall-Verfügbarkeit“ von Bildung. Eine durch immer größere Bandbreiten und immer kleinere Datenformate technisch hervorgerufene Innovation mit bemerkenswerten didaktischen Implikationen. Denn Lernen, da sind sich die Neurowissenschaftler einig, gelingt besonders dann, wenn der Lernende „konzentriert und aufmerksam“ bei der Sache ist (Doidge 2014). Das ist besonders dann der Fall, wenn der Lernende einen konkreten Lernbedarf hat – und die Möglichkeit sieht, diesen „sofort“ zu decken. Beispielsweise dürfte der Bedarf nach hilfreichem Input zum Durchführen von Mitarbeitergesprächen unmittelbar vor den anstehenden Mitarbeitergesprächen am größten sein – und der Bedarf an Präsentations-Wissen im Vorfeld einer Präsentation. Auf jeden Fall wird, wer in dieser Verfassung im unternehmenseigenen LMS fündig wird, mit „konzentrierter Aufmerksamkeit“ zur Sache gehen und sich merken, was er lernt. Die „Überall-Verfügbarkeit“ macht also aus klassischen Lehrmaterialen Learning on Demand mit erwartbar nachhaltigen Effekten. Mehr noch: Durch die unmittelbare Umsetzung des Gelernten in die Praxis befinden wir uns plötzlich im 70-Prozent-Bereich des „Learning on the job“.

4. Vom Lehrmittel zum Lernmittel

Lehrmittel, die On-Demand zur Verfügung stehen, werden nicht als Kontrollinstrument der Lehrenden wahrgenommen. Sie werden vielmehr zu Lern- und Lösungsmitteln, die zur Deckung des selbst festgestellten Wissensbedarfs beitragen. Es ist der Gebrauch, der die Rezeption bestimmt und letztlich für intrinsisch motivierte „Lerner“ sorgt (Deci, Ryan 1993).

Unterstellt man, dass „Verfügbarkeit“ im Rahmen des Learning on Demand ein Kriterium für intrinsisch motiviertes und damit nachhaltiges Lernen ist, rücken Methoden wie WBTs, Podcasts, Bücher, E⁠-⁠Books und Videos in den Fokus. Weil das Medium Video das jüngste und noch am wenigsten bekannte in diesem Konzert ist, und weil Video nach Meinung vieler Experten sich zum Leitmedium mausert, soll dieser Beitrag auf die Einsatzmöglichkeiten von Video etwas detaillierter eingehen.

5. Video ist das neue Leitmedium

Der Zukunftsforscher John Naisbitt schreibt in seinem Buch „Mindset!“ (2007), dass unsere Zukunft eine visuelle sei. Eine weitere Einschätzung liefert Microsoft-Gründer Bill Gates. Mit Blick auf die Video-Lernplattform „Khan-Academy“ sagt er: „Das ist der Beginn einer Revolution“. Und Jochen Robes (2014) zitiert in seinem „Weiterbildungsblog“ Josh Bersin mit „Video is the new ‚text‘“. Unterstrichen werden diese Statements von einem beeindruckenden Faktum. So ist YouTube nach Google die weltweit zweitwichtigste Suchmaschine. Das heißt, Menschen suchen bei Antworten auf ihre Fragen gezielt die Videoplattform auf. Charles Jennings sieht denn auch als eine der künftigen Entwicklungen im Corporate Learning die Entwicklung „firmeninterner YouTubes“ (Singh 2014).

Die hohe Akzeptanz des Mediums Video resultiert aus der Möglichkeit, Sachverhalte zu zeigen, anstatt sie nur zu beschreiben. Und genau damit sind auch die Anforderungen an nachhaltiges Videolearning beschrieben. Nur wenn die visuelle Übersetzung und Umsetzung gelingt, werden die Mitarbeiter in Unternehmen darauf zurückgreifen. Zwei Unterscheidungen sind dabei wichtig.

1. Video als Medium ist zunächst nur der technische Träger der Information. Video kann dabei sowohl in WBTs integriert, als auch als eigenständiges Medium ausgespielt werden.
Vorteil der letztgenannten Variante ist, dass Videos heute auf fast allen Endgeräten abspielbar sind. Damit ist das Lernmedium Video nicht mehr zwingend an den Arbeitsplatz gebunden. Videotrainings können genauso auf Smartphones wie auf Tablets und PCs abgespielt werden. Learning on Demand ist möglich und Realität.
2. Video kann unterschiedliche Formate beinhalten. Wesentlich ist immer die inhaltliche Steuerung mit dem Ziel, Wissen und Information zu visualisieren. Geeignete Formate dafür sind

  • Spielszenen, mit denen direkt der Erfahrungshintergrund der Mitarbeiter aufgegriffen wird. Mögliche Verhaltensoptionen können direkt in Szene gesetzt werden.

  • Animierte Infografics können komplexe Sachverhalte verständlich inszenieren.

  • Screencasts eignen sich besonders, um Software 1:1 am Bildschirm zu erklären.

  • Interviews und klassische Ansprachen sind Mittel der Wahl für den schnellen und raumübergreifenden Rollout beispielsweise neuer Unternehmensleitlinien.

  • Slideshows helfen bei der schnellen und kostengünstigen One-to-many-Kommunikation.

  • „Imagefilme“ helfen, Unternehmens- oder Abteilungsziele zu verankern – zum Beispiel ein gemeinsam erarbeitetes Unternehmens-Selbstverständnis widerzuspiegeln.

  • Online-Seminar – der Trainer und die Essenz seiner Präsenztrainings sind im Videoformat jederzeit verfügbar.

  • Videotrainings nutzen und kombinieren je nach Anforderungsprofil alle genannten Formate.

Ob WBTs, Webinare oder Videotrainings: Klar ist, dass online zur Verfügung gestellte Weiterbildungstools einerseits den Ansprüchen der Mitarbeiter gerecht werden, Wissen on Demand abrufen zu können. Zusätzlich können diese Tools vielen Mitarbeitern gleichzeitig zur Verfügung gestellt werden, was eine enorme Effektivitäts- und Effizienzsteigerung bedeutet. Damit ist die wertvolle Face-to-Face-Time in Präsenztrainings und Präsenzseminaren frei von der reinen Wissensvermittlung und kann für die nachhaltigste Wissensverankerung überhaupt genutzt werden: üben, üben, üben.

Literatur

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